Abendbrotforschung / Satte Kampagne, 2014

FELDFORSCHUNG ABENDBROT, seit 2009

Das Projekt nahm seinen Anfang mit einem Stipendium des „DA Kunsthauses Kloster Gravenhorst“. Seitdem findet es in verschiedenen Formaten seine Fortsetzung.

Seit geraumer Zeit liegt ein Fokus unserer Arbeit auf den Ausprägungen von Küchenkulturen. Mit einem privat-kulinarischen Teilbereich des Alltags beschäftigt sich das Projekt FELDFORSCHUNG ABENDBROT, indem es ein spezifisches Phänomen im deutschsprachigen Raum in den Blick nimmt: das kalte ABENDBROT. Der brotbasierten Mahlzeit – und den damit verbundenen Erinnerungen, familiären und regionalen Prägungen, individuellen Rituale und Vorlieben, Belägen und Gestaltungsfragen – spüren wir in diesem Projekt nach. Besuche an fremden Abendbrottischen, Aktionen im Stadtraum, aufsuchende Gastronomie oder Abendbrotkongresse sind die Formate, mit denen das Feld des Abendbrottischs untersucht wird.

Warum die Hinwendung zu einem eher altbackenen und wenig schillernden Geschehen wie dem Abendbrot? Es scheint brisantere Themen zu geben. Das Alltagsleben lässt sich jedoch mit seinen Verflechtungen und stetigen Veränderungen vor dem Hintergrund des abgezirkelten Abendbrot-Areals konzentriert in den Blick nehmen. Mit dem Interesse an einer Kulturtechnik, deren Bedeutung als ritualisierter Übergang von der Arbeit in die Privatheit immer mehr abnimmt, wird eine brotbasierte Schablone auf die Lebensvollzüge gelegt. Diese erlaubt es, den Alltag ausschnitthaft in seinen kulturellen, sozialen, ästhetischen und individuell geprägten Aspekten in Erfahrung zu bringen und künstlerisch zu bearbeiten.

Das Projekt FELDFORSCHUNG ABENDBROT ist keine soziologische Studie. Es geht nicht um grundsätzliche Aussagen oder abschließende Erhebungen vor dem Hintergrund fundierter Wissenschaftlichkeit. Im Fokus stehen vielmehr einzelne Abendbroterfahrungen und ungewöhnliche Begegnungen, die durch die Gestaltung von spezifischen Orten und Situationen provoziert werden. Das ABENDBROTARCHIV wächst so sukzessive um Zitate, Dokumente, Fotografien und künstlerisch Bearbeitetes an.


FELDFORSCHUNG ABENDBROT im Münsterland und deutsch-niederländischen Grenzgebiet, 2009/10

Mit ihrer mobilen Abendbrotküche bereisen Günther und Wagner den Kreis Steinfurt und lassen sich temporär in Wohnsiedlungen nieder. Ihr bedürfnisgerecht ausgestatteter Wohnwagen versteht sich dabei als reisender Imbiss, kommunikativer und stetig anwachsendes Archiv für Abendbrotkultur. In den Wohngebieten laden sie Anwohner und Gäste zu Abendbrotaktionen ein; der öffentliche Straßenraum wird zum erweiterten Gartenraum. Darüber hinaus freuen sich Günther und Wagner, wenn sie an fremden Abendbrottischen im familiären Rahmen Platz nehmen dürfen.


Abendbrotforschung : ENDSTÜCK, 2011

Aktion im historischen museum frankfurt

Im Rahmen der „Abrissparty“ des historischen museums frankfurt bereiten Ingke Günther und Jörg Wagner ein finales Abendbrot, das um den Knust, das Krüstchen, den Kanten – also das ENDSTÜCK des Brotes – kreist.
Das am Abendbrottisch oft begehrte, knusprig-buckelige Brotende setzen sie in den Fokus einer Installation, die von ihnen und ihren Gästen bespielt wird. Günther und Wagner laden in den ausgeräumten Sichtbetonbau des Museums zu einer temporären Abendbrotwirtschaft ein. Bei Brot, Butter und Milch befragen sie das alltagskulturelle Phänomen des Abendbrots, erkundigen sich nach familieneigenen Gewohnheiten und -ritualen, nach persönlichen Erinnerungen und regionalen Abendbrotspezialitäten. Außerdem sammeln sie Bezeichnungen für das ENDSTÜCK des Brotes, die zahllos zu sein scheinen. In ihren dialektischen Ausprägungen, zumeist liebevoll-charmante Wortschöpfungen, verweisen die unterschiedlichen Knust-Worte auf die heimatlichen Abendbrottische ihrer Nutzer.


FELDFORSCHUNG ABENDBROT / Café complet, im Rahmen von Stadt(t)räume, Basel, 2012

Interventionen im Stadtraum und bespielte Installation im Kleinen Markgräflerhof

FELDFORSCHUNG ABENDBROT ist zu Gast in Basel und möchte die hiesige Praxis des Abendessens kennenlernen. Ganz besonders interessiert die Künstler:innen das „Café complet“, eine traditionelle (vielleicht kaum mehr praktizierte) Form des Nachtessens in der Schweiz. Günther und Wagner bemühen sich um Einladungen in Basler Privatküchen, um mit ihnen Gastgeber:innen ein „Café complet“ einzunehmen und sich darüber auszutauschen. Im August 2012 werden sie dafür mit einem Abendbrottisch im Baseler Stadtraum unterwegs sein und um Gastfreundschaft bitten. Dies natürlich nicht ohne ihrerseits zu einem typisch deutschen Wurstbrot einzuladen.


Ingke Günther, Abendbrot-Mindmap

Warme Worte für eine kalte Mahlzeit

Um zu umreißen, warum das Abendbrot für uns ein Thema, Anknüpfungspunkt und gesellschaftlich relevantes Sinnbild ist, möchten wir ein kompaktes LOBLIED auf das Abendbrot singen.

Das Abendbrot ist kulinarische Besonderheit im deutschsprachigen Raum.
Beim Abendbrot handelt es sich um eine alltägliche und wenig spektakuläre Mahlzeit. Doch „das Brot und seine belegenden Begleiter“ stehen für eine bemerkenswerte Tradition. Sie sind der Kern einer kulinarischen und kulturellen Spezialität im deutschsprachigen Raum, die u.a. der großen Brotsorten-Vielfalt geschuldet ist. Und doch scheint das Abendbrot inzwischen immer weniger praktiziert zu werden. Veränderte Familienstrukturen und Arbeitsbedingungen haben dazu geführt, dass abends zunehmend warm gegessen wird. Aber es gibt Gründe, die Mahlzeit, die sich dadurch auszeichnet, dass sie brotbasiert, kalt, komponentenreich, deftig und lecker ist, zu würdigen.
Das Abendbrot markiert den Übergang zwischen Arbeit und Freizeit.
Es ist die Mahlzeit, die (grundsätzlich) am meisten Muße zulässt und den Tag kulinarisch beschließt. Neben Brot und Leberwurst kommen die Ereignisse des vergangenen Tages auf den Tisch. Besonders Familien mit Kindern schätzen das klassische Abendessen, denn nichts wird kalt und man kann so lange reden, bis die letzten Salamischeiben und Silberzwiebeln aufgegabelt sind.
Das Abendbrot ist die Resteküche der Mahlzeiten.
Auf den Tisch kommt, was der Kühlschrank hergibt – dazu vielleicht noch ein paar warme Reste vom Mittag. Das Abendbrot ist eine unkomplizierte Mahlzeit und eine verwertende; jeden Tag sieht es ein bisschen anders aus. Dabei kann es sehr üppig oder improvisiert ausfallen. Als komponentenreiche Collage könnte das Abendbrot bezeichnet werden, und über das Zusammenspiel der Beläge bestimmt jeder Esser individuell.
Das Abendbrot macht den Tisch zum Gestaltungsraum.
Bei keiner anderen Mahlzeit kommt Heterogeneres auf den Tisch. Ob Brettchen oder Teller, Butter oder Margarine, Wurst oder nur Käse entscheiden Familientraditionen und spezielle Vorlieben. Der gedeckte Tisch ist ein Gestaltungsraum mit schier unendlichen inhaltlichen, materiellen wie kompositorischen Möglichkeiten. Kommen die Tupper-Dosen auf den Tisch oder wird der Aufschnitt aufgeblättert? Ob man Schnitten schmiert, vorm Fernseher isst oder den Tisch deckt, gibt die Zeit vor, die man sich einräumt.
Das Abendbrot ist privat.
Wird man zum Essen eingeladen, dann wohl kaum zum Abendbrot. Eine Einladung heißt höchstwahrscheinlich: Es gibt etwas Warmes. Das Abendbrot spielt sich im privaten Alltag ab, ist mit Kindheitserinnerungen verbunden – mit heimeligen und auch einengenden. Beim Abendbrot zeigen sich persönliche wie Familienrituale.

Ingke Günther,  Brotworte, Klebe-Etiketten auf Wachstuchdecke

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